SK-Prinzip und die Selbststeuerung

von | Mrz 25, 2020

Oft werden wir gefragt, warum Systemisches Konsensieren den Widerstand misst und nicht die Zustimmung.

Wäre dasselbe Verfahren nicht möglich mit einer Messung der Begeisterung?

Ist dieses Beharren auf negativen Gefühlen nicht unnötig problemorientiert?

Einen Schlüssel zum Verständnis aus einer psychologischen Perspektive bietet uns die Persönlichkeits-System-Interaktions-Theorie von Julius Kuhl. Hinter diesem Wort-Ungetüm verbirgt sich die derzeit integrativste Theorie menschlichen Verhaltens. Im Zentrum von Kuhls Mehrebenen-Modell liegt die Ebene der Selbststeuerung mit vier innerpsychischen Selbststeuerungs-Einheiten:

Zentrale Überlegungen dazu sind: Die Grundaffekte des Menschen – „hin zu“ (d.h. positiv) und „weg von“ (d.h. negativ) – werden unabhängig voneinander gesteuert: von stark bis gedämpft.

Quadranten-Modell der unabhängigen Affekte
Abbildung: Quadranten-Modell der unabhängigen Affekte

Das kennen wir alle aus unserem unmittelbaren Erleben: es gibt Situationen, die wir stark wollen und die uns gleichzeitig stark Angst machen. Man denke nur an ein erstes Date, oder – für die weniger Romantischen unter uns – an einen akuten Besuch beim Zahnarzt.

Und ebenso gibt es Situationen, zu denen wir uns weder hingezogen fühlen, noch stoßen sie uns ab – die sind uns dann ziemlich gleichgültig.

Die Achse des negativen Affektes wird von zwei innerpsychischen Systemen gesteuert: für den ungedämpft negativen Affekt dient das Objekterkennungs-System (OES). Dieser „Fehler-Zoom“ hilft uns beim Entdecken von Gefahren und Abweichungen. Seine Stärke liegt im Fokus auf Details und seiner Genauigkeit.

In gefährlichen Situationen ist diese Fähigkeit von unschätzbarem Wert, denn schon ein einziger übersehener Tiger hat für unsere Existenz nachhaltige Bedeutung! Ein ausgeprägter Fehler-Zoom ist auch eine Grundbedingung für jeden Lernprozess.

Auf der anderen Seite ist dieses miesepetrige Fehlersuchen kein guter Berater. Denn irgend etwas findet man auch noch im besten Vorschlag und als Konsens erscheint hier jene Lösung, die bloß noch nicht genug durchdacht wurde, um ihre Begrenztheiten zu sehen …

Die Dämpfung des OES leistet das Extentions-Gedächtnis oder auch: das Selbst. Diese Instanz hilft uns, die unmittelbare Situation in den Gesamtkontext unserer Lebenserfahrung zu setzen: in großer Gelassenheit überblicken wir die aktuelle und viele, viele andere Situationen, die uns helfen zu vergleichen und zu relativieren.

Das ist ein höchst intuitiver Prozess und praktisch immer möglich, aber niemals exakt begründbar …

… genau so wenig, wie wir jemals exakt darüber Auskunft geben können, wer wir denn nun eigentlich sind!

Und genau diese Qualität triggern wir, wenn wir uns selbst fragen, wieviel Widerstand ein konkreter Vorschlag jetzt in uns auslöst. Die Festlegung auf einen Zahlenwert ist einfach, die Begründung verlöre sich im Ungreifbaren. Der Weg über den gedämpft negativen Affekt ermöglicht die innere Entscheidung – Vorschlag für Vorschlag.

Damit führt systemisches Konsensieren Menschen aus der Problemorientierung mit ihren starken Ablehnungsempfindungen in den gedämpften Bereich, der in der obigen Abbildung als „Gelassen-Feld“ markiert ist.

Und warum funktioniert das nicht so gut über die Zustimmung?

Begeisterung, also ungedämpft positiver Affekt, könnte diese Kontextualisierung niemals leisten. Im Flow regiert die „intuitive Verhaltenssteuerung“ (IVS), deren Bewertungen nur für den konkreten Augenblick gelten. Im fröhlichen Taumel gilt das Jetzt, spielt Zeit keine Rolle und ist die Bedeutung der Entscheidung aus dem und für das Morgen nicht zu beurteilen …

Der gedämpft positive Affekt aber ist verbunden mit dem Absichtsgedächtnis. Es ist eine wichtige Fähigkeit, die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung aufschieben zu können. Aber diese Steuerungsinstanz funktioniert wieder sehr kleinteilig und sequentiell. Wer je versucht hat, eine Entscheidung durch eine plus/minus-Liste zu treffen, kennt das Problem: jedes Argument ist in sich stimmig, aber es will sich kein Gesamtbild einstellen.

Und je mehr Absichten wir bilden, desto schwerer wird es, in die Aktion zu kommen. Oder aus der täglichen Praxis gesprochen: je länger die to-do-Liste, desto weniger ist am Abend getan …

Auch wenn es bewusst gar nicht so geplant war: Systemisches Konsensieren greift mit seiner Frage nach dem Widerstand (affektiv gleich „weg von“; reflektierend, also gedämpft) auf den optimalen Steuerungsmechanismus für intuitiv-ganzheitliche Entscheidungen zu!

Damit nutzt das Systemische Konsensieren eine innewohnende Fähigkeit des Menschen. Wenn wir jeden Vorschlag für sich bewerten und nicht Vorschläge gegeneinander abwägen! Beim vergleichenden Abwägen würden wir vermehrt Aufmerksamkeit auf das Negative lenken – und es damit größer machen. Wir aber machen uns lediglich den ohnehin vorhandenen Widerstand bewusst und skalieren ihn. So finden wir eine förderliche emotionale Distanz zu unserer Entscheidung und fokussieren als Gruppe auf die Lösung mit dem geringsten Gruppenwiderstand – und damit auf die Lösung mit der höchsten Akzeptanz!



SK ist für mich waches Entscheiden.